Bashing ist ein Phänomen unserer Zeit. Es wird absichtlich schlecht gemacht, beleidigt, diffamiert oder diskreditiert. Meist trifft es eine Person oder gerne auch eine ganze Gruppe. Politiker, Bürgergeld-Bezieher oder Flüchtlinge sind besonders häufig betroffen. Mir erschließt sich das selten. Ich glaube nicht, dass es ein Vergnügen ist, auf der Flucht zu sein. Nach zehn Jahren Arbeit mit Bürgergeld-Beziehern weiß ich, dass ich mit deren Lebenssituation auch nicht tauschen möchte. Und auch Politiker sind sicher in den allermeisten Fällen eher von der redlichen Sorte.
Auch ein Unternehmen ist von überaus häufigem Bashing betroffen: Die Bahn! Wer kennt sie nicht, die vielen Witze, die über unpünktliche Züge, pampige Zugbegleiter und ausgefallene Verbindungen gemacht werden. Ich hatte als Kind so eine romantische Vorstellung von hupenden Zügen, die durch grüne Landschaften fahren, von freundlichen Lokomotivführern, die winkend am Bahnsteig ankommen und von Schlafwagenfahrten, die mich entspannt zu tollen Zielen bringen. Von all dieser Bahnromantik scheint nicht mehr viel übrig zu sein.
Und dann bekomme ich ein Buch in die Finger, das zu meiner diesjährigen Urlaubslektüre wird. Ein Ausrufungszeichen gegen das Bahnbashing. Geschrieben hat es Titus Müller und der Titel lautet:
Einsteigen: Warum das Bahnfahren immer noch die schönste Art zu reisen ist.
Dieses Buch macht sich gar nicht erst die Mühe, irgendwelche Statistiken über die Pünktlichkeit von Zügen schön zu reden. Es hat einen völlig anderen Ansatz, es nimmt die Menschen in den Fokus. Wer ist denn das, der da so Platz nimmt. Begegnungen, die im Abteil oder im Großraumwagen stattfinden und so schnell vorbei sind, wie sie begonnen haben. Es ist eine Buch gewordene Liebeserklärung an das Eisenbahnfahren. Man lernt Enthusiasten kennen, die sich Tage und Nächte um die Ohren schlagen um den besonderen Zug zu fotografieren. „Trainspotter“ lerne ich, heißen solche Zeitgenossen. Titus Müller erzählt von Menschen in Bahnen, von sich in der Bahn und von Bahnstrecken. Es geht nach England, er fährt Zug in Amerika und mit dem Eurocity 85 nach Venedig. Bei dieser, schon etwas in die Jahre gekommenen Ausführung, erklärt ein Mitreisender Italiener, dass dieser wohl aus „Tschetschenien“ kommen mag. Die Menschen zwischen den beiden Buchdeckeln werden unglaublich feinfühlig beschrieben. Sie sind laut und leise, ruppig und feingliedrig, zurückhaltend und gesprächig. Menschen aus dem Leben.
Es tut gut, ein Buch über das Bahn fahren zu lesen, ohne bösartiges Bahn-Bashing. Natürlich werden die Unpünktlichkeit und weitere Defizite, nenne wir sie kleine schrullige Momente, auch thematisiert. Trotzdem, es ist mit ganz viel Liebe und einem Augenzwinkern gut zu lesen und man kann -nein muss- an vielen Stellen freundlich darüber schmunzeln.
Fazit; dieses Buch bereichert meinen diesjährigen Urlaub mit dem Prädikat: Sehr empfehlenswert.
Hier der Link dazu.

Schon das Lesen deiner feinfühligen Betrachtung und Beschreibung, ist ein Labsal das nicht nur Freude sondern auch volle Zustimmung erhascht. Somit dadurch schon eine Bereicherung!
Das freut mich 🙂
Vielen lieben Dank fürs wohlwollende Lesen und die tolle Rezension, ich habe mich gefreut.
Sehr gerne!
Hallo Ralf, habe den tollen Bericht über die Bahn gelesen, einfach total fantastisch wie Du schreibst, man sitzt direkt neben Dir.
Grüßli M-L
Na dass ist doch wunderbar, der Autor freut sich, wenn er gelesen wird UND auch etwas ankommt 🙂
LG Ralf