Eigentlich hatte ich mich vor zwei Jahren auf ein echtes Heimspiel gefreut. In Frankfurt sollte der Kirchentag damals stattfinden. Er ist unter großem Bedauern dem Virus zum Opfer gefallen. Wie schnell doch zwei Jahre vergehen. Am vergangenen Mittwoch startete der Kirchentag 2023 in Nürnberg. Und ich war dabei – mit Ludwig!
Doch zunächst hieß es, die A3 irgendwie zu überstehen. Kurz hinter Würzburg beginnt eine Baustelle wie viele. Irritiert bin ich dann allerdings über die Ankündigung:
„Ausbau bis 2025 – 76 km Baustelle“
Das meinen die nicht im Ernst, ist mein erster Gedanke. Leider doch! Auf der kompletten Länge ist die Baustelle eingerichtet. Wer um Gottes Willen denkt sich so etwas aus? Hat da der Praktikant die Terminplanung übernommen? Mit der stillen Würde eines erloschenen Vulkans ergebe ich mich diesem Baustelle gewordenen Irrsinn und komme tatsächlich irgendwann in Nürnberg an. Als Open-er flaniere ich auf dem Markt der Möglichkeiten. Einfach eintauchen.
Abends besuche ich einen Tanzgottesdienst. Keine Ahnung, was ich mir darunter vorzustellen habe, aber die Zugänge zu Gott sind nun mal unterschiedlich. Ich lasse mich auf das Experiment ein. Der Anfang ist auch wirklich bewegend. Harfenmusik, keltische Lieder, irische Texte und ein Pfarrer, der mit viel Fingerspitzengefühl in den Gottesdienst hinein führt. Bei der Predigt werde ich allerdings hellhörig. Er bemüht biblische Texte um den Besuchern die verlorene Körperlichkeit samt dazugehörigem Eros nahe zu bringen. Das Ganze klingt in sich schlüssig, scheint mir theologisch allerdings sehr gewagt. Danach beginnt der Tanzteil. In den Seitenbereichen der Kirche fangen Menschen an zu tanzen, man hat den Eindruck, die Kelly – Family meditiert. Ab dem Punkt ist es leider nicht mehr meine Veranstaltung und ich ziehe weiter. Für mich schade, aber es gab ja nicht wenige, denen es etwas gegeben hatte.
Am nächsten Morgen gehe ich ganz klassisch für einen Kirchentag am Vormittag zur Bibelarbeit. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckhard ist am Start. Und sie macht das richtig gut! Ausgehend von der Josephsgeschichte arbeitet sie deren familiäre Wunden heraus. Diese Wunden sind der rote Faden ihrer Arbeit und sie zeigt auf, wo der Mensch Wunden verursacht – in der Schöpfung – im privaten Umfeld – in seiner Beziehung zu Gott. Zum Schluss nimmt sie die Kurve und deutet die Versöhnungstat Jesu als den Hoffnungsmoment unseres menschlichen Seins, der über Wunden hinaus geht. Ich ziehe gestärkt aus der Veranstaltung weiter, nicht ohne noch kurz mit Ihr zu plauschen, nebst Selfie.
In der Innenstadt treibt es mich an einen Stand der atheistischer Vereinigung „Stiftung…“ vorbei (Den Namen verkneife ich mir, ich will keine Werbung machen). Ich komme mit dem Standmenschen ins Gespräch und mache ihm deutlich, dass ich auch zu den Steuerzahlern gehöre und nichts dagegen habe, wenn mit meinen Steuern eine solche Veranstaltung unterstützt wird. Ihr Anliegen ist ein Volksbegehren gegen die Bezuschussung des Kirchentages in Düsseldorf. Auf meine Frage, ob er denn mal die Gastronomen in Düsseldorf nach ihrer Meinung gefragt hat, kann er keine schlüssige Antwort geben. Ich verabschiede mich freundlich von ihm, mit einem Zitat von Voltaire – oder wem auch immer: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Er bleibt einigermaßen verdutzt zurück.
Abends besuche ich noch eine Thomas-Messe. Für alle, die mehr darüber wissen möchten, hier ein Link zu Wikipedia. Der Gottesdienst dauert über zwei Stunden und ich gehe beseelt aus der Kirche. Mir wird jetzt bewusst, wie sehr diese „Premium-Tankstelle Kirchentag“ gefehlt hat. Für mich bleibt es nach wie vor ein Rätsel, weshalb in diesem Kontext eine Gottesnähe entstehen kann, die sonst im Alltag eher selten zu erfahren ist. Ich jedenfalls freue mich bereits jetzt auf den Kirchentag in zwei Jahren, dann in Hannover, so Gott will und wir leben.
Halleluja und Shalom