Ich gebe es ja zu, Klassik ist so gar nicht meine Musikrichtung. Meine Hörgewohnheit liegt eher im Bereich Rock – Blues – Reggae. In rund vier Jahrzehnten bei über hundert BAP Konzerten, ich habe Queen mit Freddy gesehen, Roger Waters 1990 auf dem Potsdamer Platz als er the Wall dort spielte und von Joe Cocker über Herbert Grönemeyer bis Pink Floyd so einiges. Dazu die Musik von den Beatles, Dire Straits und den Roliing Stones, das ist so grob gesagt mein Spektrum. Jetzt also Vivaldi in Venedig. Um ein wenig zu wissen was mich erwartet, google ich den Klassiker und finde erstaunliches. Die österreichische Kronenzeitung schrieb beispielsweise 2017:
Er tourte durch ganz Europa und durchbrach gesellschaftliche Konventionen – Antonio Vivaldi war so etwas wie der erste Rockstar der Musikgeschichte.“
Das hört sich spannend an, scheint sich zu lohnen. Wir finden uns also am Abend pünktlich am Scuola Grande di San Teodoro ein und schreiten nach Einlasskontrolle, sehr unklassich digital, die lange Treppe zum Salon Capitolare empor. Das Publikum ist eine illustre Mischung. Es gibt Besucher mit klassischer Abend-Garderobe, dann solche die mit venezianischen Kostümen erscheinen und kaum von den Akteuren zu unterscheiden sind. Und es gibt Touristen in Hawaii-Hemd und Badeschlappen. Ausgestattet ist der Saal mit Stühlen, die stark an Campingsitze älterer Bauart erinnern. Vor uns schwingt sich eine barocke Italienerin mit so viel Schwung in die Reihe, dass sie den vor mir stehenden Stuhl in meine Richtung katapultiert. Leider hat der eine Querstreben genau dort, wo mein Schienbein ist. Zielstrebig die Stelle, wo es am meisten weh tut, schlägt der Stuhl ein. Ich quieke. Die Dame entschuldigt sich mehrfach italienisch-gestenreich.
Pünktlich um 20:30 erscheinen die Musiker und beginnen nach kurzer Verbeugung. Es sind mehrere Geigen auf der Bühne, dazu Cello, Bass und an den Tasten ein Cembalo. Die Damen und Herren sind in traditionellen venezianischen Kostümen gekleidet und ich frage mich, wie man mit solchen Röcken unterwegs sein kann ohne die gesamte Deko abzuräumen. Nach circa 20 Minuten ist die erste Setliste zu Ende und die Akteure verlassen die Bühne. Ich schaue fragend. Meine fachkundige Gattin erläutert, dass dies das Vorspiel war und nach der Pause die vier Jahreszeiten mit dem Frühling beginnen. Ich antworte: „Das kenne ich, die Stones habe auch manchmal eine Vorband dabei“ – Stirnrunzeln. Dann geht es los. Diesmal ist die Anzahl der Musiker etwas üppiger und es ist deutlich zu erkennen, der Stehgeiger in der Mitte ist der musikalische Chef im Ring. Mir wird während des Konzertes klar, das dieses Bühnensetup durchaus modernen Rockinstallationen ähnelt. Der Geiger liefert Soli ab, die mitunter stark an Keith Richards erinnern. Lediglich Mick Jagger fehlt hier irgendwie, wohl da Vivaldi noch ohne Gesang auskam.
Die Dame am Bass, einem beeindruckenden Möbelstück, kommt allerdings nicht an die Bassläufe eines Bill Wyman heran. Vielleicht lag es ja auch an Vivaldis Komposition. Keine Ahnung wie viel Improvisation diese zulässt. Mich erinnert sie eher an das stoische Fluten eines Konzertsaales durch den bedeutungsschweren Bass eines John Deacon (Queen).
Nach rund 90 Minuten ist das Konzert vorbei. Meine beiden Damen sind beseelt und auch ich hatte Freude an dem originellen Publikum und an den Geigensoli, bei denen ich die Augen schloss und ein wenig Gary Moore`s LesPaul durchschimmern hörte.