Heute schreibt mal wieder Susanne, schön wenn man so etwas teilt

„Ich gehe zum Pool!“

Fragend drehe ich mich auf meinem Liegestuhl um und sehe auf dem Weg vor unserem Wohnmobil einen kleinen Hai stehen. Beziehungsweise einen Hai-Bademantel, in dem ein kleiner Junge steckt.

Dass er mir mitteilt, wohin sein Weg führt, ehrt mich. Ich antworte: „Das ist schön. Viel Spaß!“

Der kleine Junge lächelt zufrieden und zieht ab.

Das war die erste Begegnung mit Oskar. Die Folgenden verlaufen nach ähnlichem Muster:

Entweder gibt er uns eine kurze Info über seine aktuellen Tätigkeiten oder er fragt nach, was wir so machen. Und fast immer sind es zuerst die Ohren, die auf Oskar aufmerksam werden. Er kann leise daherkommen, und nie wissen wir, wie lange er schon dastand und geschaut hat.

Wenn sich auf der Arbeitsstelle neue Teams bilden, dann achtet der Leiter darauf, dass es sogenannte teambildende Maßnahmen gibt. Also Treffen, auf denen die Kollegen sich kennenlernen und spüren, dass ein Miteinander vorhanden ist oder zumindest wächst.

Auf Campingplätzen bilden sich auch neue Teams, neue Nachbarschaften: Familien wohnen für einige Zeit gemeinsam auf kleinen Arealen, sie teilen sich die Infrastruktur, den Kiosk und die Mücken. Hier wären Teambuilder ebenfalls nicht verkehrt. Denn nicht immer entsteht in der kurzen Zeit aus einem Nebeneinander ein Miteinander.

Oskar war ein Teambuilder. Er schaffte es, Menschen zu verbinden. Er betrieb sozusagen Kaltaquise für sein „Unternehmen Menschen-Kennenlernen“ und sprach Nachbarn und alle, die ihn sonst interessierten, frei heraus an. Ließ sie an seinem Leben teilhaben und bot bereitwillig seine Gemeinschaft für kleine Schwätzchen oder kleine Mahlzeiten an. Oskar probierte unsere Nudeln, den Parmesankäse in Scheiben, hat das Nutellabrötchen ganz aufgegessen und trank ausschließlich Wasser („… prickelnd, ein bisschen prickelnd oder gar nicht prickelnd, das ist egal.“)

Ein bisschen erinnerte er mich an Michel aus Lönneberga mit seiner liebenswerten Schlitzohrigkeit, gesunden Neugier und ursprünglichen Lebensfreude.

Und von seiner wunderbaren Sicht auf Wichtiges und Unwichtiges durfte ich mir eine Scheibe abschneiden.

„Wir waren in Venedig!“, verkündete Oskar eines Abends. Er stand da mit einem Strohhut, deren blaue Banderole von kleinen weißen Haien verziert wurde.

„Wie schön!“, antwortete ich. „Und hat es dir gefallen?“

„Da waren Pfützen.“ Er schaute mich bedeutungsvoll an.

Was waren schon der Markusplatz, enge mittelalterliche Gassen und der Canale Grande im Gegensatz zu glitzernden Pfützen, durch die man heimlich hindurch laufen konnte?

Manchmal wünsche ich mir diese Sicht der Dinge zurück. Nicht auf das Offensichtliche schauen, sondern auf das scheinbar Kleine. Auf das Andere.

Wie zum Beispiel auf Bremsspuren, die Oskar mit seinem kleinen Fahrrad so kunstvoll in den Wegschotter gegraben hat.

Stolz zeigte er mir die Rinnen: „Die habe ich alle gemacht! Auch die langen.“ Und damit ich auch lerne, wie so etwas funktioniert, hat er mir sein Können noch bereitwillig vorgeführt.

In jedem Urlaub möchte ich etwas Neues lernen und mit in den Alltag nehmen. Oskar hat dieses Mal mit dazu beigetragen, dass ich die Welt wieder mehr mit Kinderaugen sehen möchte. Ich möchte mich erinnern, was mir als Kind wichtig war. Worauf ich geschaut habe. Was hätte ich geantwortet, wenn mich jemand vor 47 Jahren gefragt hätte: „Und? Hat dir Venedig gefallen?“

Mittwoch fahren wir dort hin. Ich werde versuchen, anders hinzuschauen. Meine „Pfützen“ zu finden.

Danke, lieber Oskar, für die Bremsspuren, die du in meinem Herzen hinterlassen hast.

Hier Oskar mit Ralf