Für meinen heutigen Bericht springe ich kurz mal ins Jahr 1948.
Nachmittags schlurft ein Amerikaner kurz hinter dem Markusplatz in eine Seitengasse. Er hat gesundheitliche Probleme, die Verwundung noch aus dem ersten Weltkrieg schmerzt je nach Tagesform – auch 30 Jahre später noch. Er war 1918 der zweite Amerikaner, der auf europäischem Boden verwundet wurde. Trotzdem, den Weg zu seiner Lieblingsbar kurz hinter dem Markusplatz nimmt er gerne auf sich. War sie doch Teil dieses morbiden, magischen und nicht beschreibbarem, dass Venedig so besonders macht. Er wird später so zitiert:
„Wie kann ein Mensch in New-York leben, wenn es Venedig gibt?“
Er öffnet die hohe unscheinbare Holztür und tritt ein, alles wie immer. „Un Bellini per favore“! Das tut mir Leid, gibt der Ober kleinlaut zur Antwort – Pfirsichpüree ist aus. Diese Worte treffen ihn wie ein Schlag. Wie kann das sein? Ernest Hemingway, so sein Name ist entsetzt! Er hinterließ eine größere Summe Bares und sagte, sie sollten die Pfirsiche kaufen und den Rest des Geldes für freie Drinks ausgeben. In den nächsten Wochen wurde Hemingway immer wieder von Bellinis überrascht, die ihm von anderen Gästen als Dankeschön ebenfalls spendiert wurden. Der Mythos „Bellini“ war geboren.
Jetzt sind wir im Jahr 2023 also auch auf dem Weg zu Harrys Bar. Einmal auf den Stühlen sitzen, die schon Hemingway als Sitzgelegenheit dienten. Das schaffen wir auch. Die Bar ist, so kann man lesen, noch im Originalzustand von 1931. Das hat unter anderem damit etwas zu tun, dass sie im Jahr 2001 zum „Nationalen Denkmal Italiens erklärt wurde. Wir wollen auch einmal einen Bellini in Harrys Bar trinken, dem Cocktail aus Pfirsichpüree und Prosecco, der hier wohl erfunden wurde. Man trinkt ihn aus Gläsern, die ungefähr halb so groß sind, wie die merkwürdigen Biergläser in Köln. Also im Grund etwas mehr, als die Füllmenge eines Fingerhutes. Der Ober reicht uns die Speisekarte. Was wir vorfinden gleicht einem Inferno der Preisgestaltung. Wucher wäre noch freundlich formuliert. Der Bellini soll sagenhafte 22 Euro kosten. Die Gattin und ich studieren aufmerksam was dort noch so alles geschrieben steht, dann schauen wir uns an und sind uns ohne weitere Worte einig. Wir stehen auf, nicken dem Ober freundlich zu und gehen. Hier ist unsere „Nationales-Denkmal-Tolleranz“ deutlich überschritten. Venedig ist im allgemeinen kein Schnäppchen, aber dies sollen andere bezahlen.
Insgesamt zwar schade, aber beim abendlichen Einkauf im Supermercato entdecken wir ein Flasche Bellini und genießen den berühmten Drink dann nach der Rückkehr an unserm Platz. Lecker war er, Hemingway hatte Geschmack!
Hier übrigens noch der Link zu Harrys Bar.